Bargeld ist nicht anonym! Wenn der Geldschein zur Wanze wird
Wie moderne Technik das letzte Stück Anonymität bedroht – und was Bürger jetzt wissen sollten
Von außen sieht er aus wie immer: Ein 20-Euro-Schein, etwas abgegriffen, farblich leicht verblasst. Doch was kaum jemand ahnt: Dieser Schein könnte ein Datenträger sein – Teil eines Systems, das immer präziser erfasst, wann, wo und womit wir bezahlen. Gemeint ist das sogenannte Bargeld-Tracking: die automatische Erfassung von Seriennummern, verknüpft mit Ort, Zeit und (wenn gewünscht) Kontextinformationen wie Kameraaufnahmen oder Kontodaten! Für mich hörte sich das auch zunächst unglaublich an – aber es ist bereits Realität!
Datenschützer schlagen längst Alarm. Die Landesdatenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Marit Hansen, warnt vor einer „neuen Form der Massenüberwachung“. Was als Maßnahme gegen Geldwäsche oder Terrorismus präsentiert wird, öffnet aus ihrer Sicht ein Einfallstor für tiefe Einblicke in das Privatleben unbescholtener Bürger. „Wenn Seriennummern mit Zeit und Ort der Erfassung gespeichert und diese Daten immer granularer gesammelt werden, geht die Anonymität des Bargelds verloren“, so Hansen.
Unsichtbare Scanner & „stille Datenbanken“
Dass Seriennummern erfasst werden, ist technisch längst Alltag. Moderne Banknoten-Verarbeitungssysteme (ob in Geldautomaten, Tankstellen oder Supermärkten) sind mit optischen Scannern ausgestattet, die jede Note automatisch auslesen. Was früher ein Sicherheitsmerkmal war, wird so zur stillen Kennung.
Die erfassten Daten landen nicht nur in Kassenberichten oder Prüfprotokollen, sondern zunehmend in zentralen Datenbanken. Der Unternehmer Gerrit Stehle etwa hat mit seiner Firma „Elephant & Castle IP“ eine solche Infrastruktur aufgebaut. Nach eigenen Angaben erhält er von einem Geldtransportunternehmen die Seriennummern inklusive Zeit und Ort der Erfassung. Die Daten bietet er staatlichen Stellen in Form von Gutachten an – perspektivisch auch über Lizenzmodelle mit direktem Zugriff. Ein international angemeldetes Patent beschreibt bereits Automaten, die verdächtige Geldscheine automatisch erkennen und die Polizei benachrichtigen können.
Auch Polizeivertreter wie Frank Buckenhofer von der Gewerkschaft der Polizei im Zoll fordern den Aufbau einer umfassenden Seriennummern-Datenbank, auf die Ermittlungsbehörden bundesweit zugreifen können. Begründet wird dies mit der besseren Aufklärung von Straftaten, etwa bei Automatensprengungen oder organisierter Geldwäsche.
Von der „Sicherheit“ zur totalen Kontrolle
Was technisch möglich ist, hat jedoch politische Dimensionen. Die Vorstellung, dass sich Bewegungsmuster von Banknoten über Ländergrenzen hinweg rekonstruieren lassen, wirft Fragen auf – etwa nach der informationellen Selbstbestimmung und dem Schutz der Privatsphäre. Denn obwohl Seriennummern formal keine personenbezogenen Daten sind, können sie mit anderen Informationen verknüpft sehr wohl Rückschlüsse auf Menschen zulassen.
Beispiel: Wird ein Schein bei einer bestimmten Apotheke, später bei einer Klinik für Schwangerschaftsabbrüche und dann an einer privaten Adresse registriert, ergibt sich ein Bild – und potenziell ein Problem. Der Bundestagsabgeordnete Luke Hoß (Die Linke) warnt daher vor einem Szenario, in dem staatliche Erfassungen bei politischem Machtwechsel gegen Bürger verwendet werden könnten. Was heute legal ist, könne morgen kriminalisiert werden.
Selbst die Bundesbank, die sich offiziell für den Erhalt des Bargelds einsetzt, verweist in internen Papieren auf die „unumkehrbare Etablierung“ der Seriennummernerfassung. Zwar entschied sie sich 2020 gegen eine flächendeckende Speicherung – testete das Verfahren jedoch vorher selbst.
Was Bürger tun können
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie man sich als Bürger schützen kann – zumindest im Rahmen des Möglichen. Einige Strategien sind banal, andere erfordern Aufmerksamkeit im Alltag:
- Automaten meiden:
Bargeldeinzahlungsautomaten (etwa bei Tankstellen oder Supermärkten) sind besonders datenhungrig. Wer dort Scheine einzahlt, sollte wissen: Seriennummern und Zeitstempel landen meist automatisiert im System. - Kleine Händler bevorzugen:
Wo Kassensysteme noch analog oder minimalistisch sind, werden keine Seriennummern erfasst. Wochenmärkte, Hofläden oder inhabergeführte Geschäfte sind daher oft der sicherere Ort für Barzahlungen. - Kein digitaler Fingerabdruck zum Bargeld:
Die Kombination aus Kartenzahlung und anschließendem Bargeldeinsatz an derselben Stelle – etwa durch Bargeldabhebung am Automaten und sofortigem Einkauf – kann Bewegungen rückverfolgbar machen. Es empfiehlt sich, digitale und analoge Transaktionen konsequent zu trennen. - Scheine im Umlauf halten:
Wer bar erhält (etwa durch Verkauf oder Tausch) sollte das Geld möglichst ohne Einzahlung weitergeben. Die Einzahlung auf das eigene Konto stellt eine Art „Rückverankerung“ in die digitale Identität dar.
Auslaufmodell Anonymität?
Noch immer werden in Deutschland über die Hälfte aller Einkäufe bar abgewickelt. Der Hauptgrund, so Umfragen: Datenschutz. Doch dieses letzte Argument für das Bargeld gerät ins Wanken. Denn mit jedem neuen Gerät, das Seriennummern liest, und jeder neuen Datenbank, die solche Informationen zusammenführt, schrumpft der Schutzraum für private Zahlungen.
Ob Bürger diese Entwicklung dulden oder nicht, ist letztlich eine Frage der gesellschaftlichen Debatte. Sicher ist: Technisch ist die Infrastruktur bereits vorhanden. Und wer davon ausgeht, dass bargeldloses Zahlen freiwillig bleiben wird, sollte sich fragen, warum man derzeit so systematisch daran arbeitet, auch Bargeld digital vermessbar zu machen.
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