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Big Tech und der Digital Markets Act: Wie Tech-Giganten Transparenz untergraben

Im März 2024 lud die Europäische Kommission zu öffentlichen Workshops ein, um den Einfluss des Digital Markets Act (DMA) auf Unternehmen und Verbraucher zu evaluieren. Ziel war es, Rückmeldungen aus erster Hand zu erhalten und gleichzeitig für Transparenz zu sorgen: Teilnehmer wurden aufgefordert, ihre Verbindungen zu großen Technologiekonzernen offenzulegen, um mögliche Interessenkonflikte sichtbar zu machen. Doch diese Vorgabe wurde vielerorts schlicht ignoriert. Die mächtigen Akteure der Tech-Branche – allen voran Amazon, Google und Co. – nutzten ihre weit verzweigten Netzwerke aus Beraterfirmen, Lobbyisten, Anwaltskanzleien und Denkfabriken, um die Diskussion hinter den Kulissen zu dominieren.

Ein Workshop im Schatten der Gatekeeper

Fast 4.000 Teilnehmer meldeten sich zu den Workshops an, darunter Vertreter aus Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Universitäten, Anwaltskanzleien, Aufsichtsbehörden und Verbänden. Doch eine Untersuchung von SOMO, LobbyControl und dem Corporate Europe Observatory (CEO) förderte Erschreckendes zutage: Mindestens 20 Prozent der Teilnehmenden hatten nachweislich Verbindungen zu den sogenannten Gatekeepern – jenen Unternehmen mit erheblichem Einfluss auf den europäischen Binnenmarkt. Dazu gehörten Vertreter von 34 Anwaltskanzleien, 10 Beratungsunternehmen, 8 Denkfabriken, 22 Lobbyagenturen und 17 Wirtschaftsverbänden.

Zwar hatte die Europäische Kommission zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) Vorrang bei der Präsenz vor Ort eingeräumt. Viele andere konnten nur online teilnehmen. Doch die bei der Anmeldung eingereichten Informationen wurden offenbar nicht systematisch geprüft. Die Folge: Ein erheblicher Teil der Diskutanten agierte im Verborgenen – häufig im Auftrag der großen Tech-Konzerne.

Der Digital Markets Act: Ein Gesetz gegen Monopolmacht

Der DMA soll die Marktmacht der großen Digitalkonzerne beschneiden. Unternehmen wie Apple, Meta, Microsoft, Amazon, Google, ByteDance oder Booking.com sollen durch ein striktes Regelwerk daran gehindert werden, ihre Plattformen zu missbrauchen. Beispielsweise dürfen sie keine eigenen Produkte oder Dienstleistungen bevorzugt behandeln oder personenbezogene Daten aus unterschiedlichen Diensten zentral zusammenführen. Doch genau diese Bestimmungen stoßen bei den mächtigen Gatekeepern auf heftigen Widerstand.

Mehrere Unternehmen, darunter Apple, ByteDance und Meta, haben den DMA bereits vor Gericht angefochten. Der renommierte Tech-Journalist Cory Doctorow bezeichnete die Compliance-Berichte der Konzerne als „Kriegserklärung“ an die EU. Besonders drastisch sei das Vorgehen von Amazon: Die Berichte des Unternehmens seien kaum mehr als ein Sammelsurium aus nichtssagenden Marketingfloskeln – ein Affront gegen die Bemühungen der Kommission.

Der Schatten der Lobbyisten

Lobbyagenturen, Tarnorganisationen, Denkfabriken und Beratungsfirmen spielen eine zentrale Rolle in der Strategie der Tech-Giganten. Laut der EU-Lobby-Datenbank lobbyfacts.eu beauftragten Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance und Microsoft allein im Jahr 2023 insgesamt 44 Lobbyagenturen – mit einem Gesamtbudget von rund 8,2 Millionen Euro. Bei den Workshops der EU-Kommission waren 263 Vertreter von 53 Lobbyfirmen anwesend. Doch kein einziger von ihnen gab an, für einen Gatekeeper zu arbeiten.

Auch Denkfabriken wie das Centre for Information Policy Leadership (CIPL) oder das Centre on Regulation in Europe (CERRE) sind eng mit den Tech-Konzernen verbandelt. Beide erhalten Gelder von allen sechs großen Gatekeepern. Von den neun Denkfabriken, die an den Workshops teilnahmen, war nur eine finanziell unabhängig. In 39 von 40 Fällen wurden Verbindungen zu den Konzernen verschwiegen.

Ein ungleicher Kampf

Die personellen Ressourcen der EU-Kommission stehen in einem krassen Missverhältnis zu denen der Tech-Konzerne. Das DMA-Team der EU umfasst lediglich rund 80 Mitarbeiter – zur Hälfte aus den Generaldirektionen für Wettbewerb (GD Wettbewerb) und Kommunikationsnetze (GD Connect). Allein das auf den DMA spezialisierte Team von Alphabet ist deutlich größer. Die Kommission muss sich mit einer Handvoll Experten gleichzeitig um alle Gatekeeper kümmern, während die Tech-Riesen praktisch unbegrenzte Mittel in ihre Lobbyarbeit investieren können.

Reformvorschläge: Transparenz und Stärkung der EU-Teams

Um den Einfluss der Gatekeeper einzudämmen, müssen bei den DMA-Workshops strengere Transparenzregeln gelten. Konkret sollten die Anmeldeformulare um gezielte Fragen ergänzt werden, wie etwa:

  • „Wurde Ihr Unternehmen, Ihre Organisation oder Sie persönlich von einem Gatekeeper beauftragt, diesen in Fragen der Compliance, bei Gerichtsverfahren oder gegenüber Regulierungsbehörden zu unterstützen?“
  • „Erhält Ihr Unternehmen, Ihre Organisation oder Sie persönlich Fördergelder oder Sponsoring von einem Gatekeeper?“
  • „Ist der Gatekeeper Mitglied Ihrer Organisation?“

Zudem sollte die EU-Kommission stets die Registrierungsnummer im EU-Lobbyregister abfragen. In akademischen Fachkreisen ist es längst Standard, Interessenkonflikte offenzulegen – eine Praxis, die auch bei den Wortmeldungen der Workshop-Teilnehmer verpflichtend sein sollte.

Darüber hinaus müssen die personellen und technischen Ressourcen des DMA-Teams aufgestockt werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass zivilgesellschaftliche Organisationen und betroffene KMUs in der Diskussion stärker vertreten sind und ihre Perspektiven Gehör finden.

Ein positives Beispiel: EDRi

Wie Transparenz und Unabhängigkeit auch im schwierigen Umfeld der Tech-Lobby gelingen können, zeigt der Fall der zivilgesellschaftlichen Organisation EDRi. Obwohl die Organisation eine Spende von Apple erhielt, veröffentlichte sie diese transparent auf ihrer Website (https://edri.org/) und in ihrem Jahresbericht. Gleichzeitig kritisiert EDRi das Unternehmen öffentlich und hat sogar eine Beschwerde wegen DMA-Verstößen gegen Apple eingereicht. Ein Beispiel, das zeigt: Es gibt Wege, mit Integrität für digitale Rechte einzustehen – trotz der mächtigen Gegenspieler.

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Beitragsbild: pixabay.com – TyliJura

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