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Günther Oettinger und Shein: Wie Lobbyismus europäische Politik beeinflusst

Günther Oettinger, einst Ministerpräsident von Baden-Württemberg und ehemaliger EU-Kommissar, hat sich längst als einer der einflussreichsten Lobbyisten Europas etabliert. Der CDU-Politiker, der zwischen 2010 und 2019 in verschiedenen Ressorts der Europäischen Kommission tätig war, vertritt heute die Interessen des chinesischen Onlinehändlers Shein – eines Unternehmens, das nicht nur wegen seiner Marktdominanz, sondern auch aufgrund zahlreicher Verstöße gegen europäische Verbraucherschutz- und Umweltstandards in der Kritik steht.

Von Winterkorn bis Shein: Oettingers Netzwerk

Während seiner Amtszeit in der EU-Kommission war Oettinger bekannt dafür, der Industrie mehr Türen zu öffnen als seine Amtskollegen. Ein Briefwechsel mit dem damaligen VW-Chef Martin Winterkorn aus dem Jahr 2012 bot einen Einblick in seine Nähe zur Wirtschaft: In dem Schreiben versicherte Oettinger, dass Volkswagen bei der Festlegung von CO₂-Grenzwerten nicht benachteiligt werde. Kritiker warfen ihm damals vor, Klimaschutzmaßnahmen zugunsten der Automobilindustrie zu verwässern.

Auch auf europäischer Ebene gab es keinen Mangel an Gelegenheiten, seine Verbindungen zu nutzen. Im österreichischen Luxus-Skiort Lech organisierte Oettinger regelmäßig ein privates Lobbyforum – das sogenannte „Mini-Davos“ –, bei dem hochrangige Vertreter aus Politik und Wirtschaft hinter verschlossenen Türen diskutierten. Diese Treffen waren letztlich Blaupause für seine spätere Tätigkeit als Berater.

Shein und der Weg nach Europa

Shein, der chinesische Fast-Fashion-Gigant, ist bekannt für seine aggressiven Marktstrategien und seine Umgehung europäischer Standards. Das Unternehmen, dessen Firmensitz inzwischen nach Singapur verlegt wurde, steht im Verdacht, Verbraucherschutzvorschriften zu missachten und durch den Versand per Flugzeug Zollbestimmungen zu umgehen. Derzeit untersucht die EU-Kommission, ob Shein gegen den Digital Services Act (DSA) verstößt.

Oettinger wurde 2024 als Berater des Unternehmens vorgestellt. Laut eigener Aussage ist sein Mandat auf die Themen Geopolitik, Cybersicherheit und Datenschutz begrenzt – alles Bereiche, die für Shein von zentraler Bedeutung sind. Die jährlichen EU-Lobbyausgaben des Unternehmens belaufen sich auf mindestens 200.000 Euro. Ein Großteil davon fließt an externe Berater wie Oettinger, der durch seine engen Verbindungen in Brüssel und Berlin für Shein unschätzbare Dienste leisten kann.

United Europe: Oettingers neue Plattform

Oettinger ist nicht nur Berater für Shein, sondern auch Präsident von United Europe, einer Organisation, die sich als gemeinnützige Initiative für die Förderung europäischer Zusammenarbeit versteht. Gegründet wurde United Europe unter anderem von dem österreichischen Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel und dem deutschen Unternehmer Jürgen Großmann, einem engen Vertrauten von Gerhard Schröder.

Offiziell soll United Europe die Vernetzung von Unternehmen, Politik und jungen Europäern fördern. Doch Kritiker sehen in der Organisation eine Plattform, die wirtschaftliche Interessen gezielt in den politischen Entscheidungsprozess einspeist. Das jährliche „Mini-Davos“, nun unter dem Dach von United Europe, bleibt ein Treffpunkt für Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik – mit Oettinger als Schlüsselfigur.

Ein prall gefülltes Adressbuch

Oettingers Einfluss reicht weit über seine Zeit als EU-Kommissar hinaus. Heute sitzt er im globalen Beratungsgremium von KEKST CNC, einer Lobbyagentur, und hat Positionen im Aufsichtsrat des Tunnelbohrunternehmens Herrenknecht sowie im Beirat von Deloitte Deutschland inne. Sein Netzwerk umfasst die Spitzen von Politik und Wirtschaft, und seine Fähigkeit, Türen zu öffnen, macht ihn zu einem begehrten Berater.

Insbesondere für Shein dürfte Oettingers Adressbuch von unschätzbarem Wert sein. Während die EU zunehmend Maßnahmen gegen Plattformen wie Shein und Temu prüft, könnte Oettinger dazu beitragen, Zölle und Verbraucherschutzvorschriften für das Unternehmen abzumildern oder zumindest seine Position in politischen Verhandlungen zu stärken.

Ein Symbol für Europas Lobbyproblem

Oettingers Karriere zeigt exemplarisch, wie eng Politik und Wirtschaft in Europa verwoben sind. Seine Tätigkeit für Shein wirft ein Schlaglicht auf die Grenzen der Transparenz und die Frage, ob ehemalige Spitzenpolitiker ihre Netzwerke für private Interessen nutzen sollten.

Die Debatte über Lobbyismus ist nicht neu, doch Oettingers Fall zeigt, wie dringend Europa strengere Regulierungen und mehr Transparenz braucht. Denn während Unternehmen wie Shein ihre Profite maximieren, bleiben die Verbraucherrechte und der Umweltschutz oft auf der Strecke – eine Entwicklung, die nicht nur Europas Glaubwürdigkeit, sondern auch das Vertrauen in die Demokratie gefährdet.

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Beitragsbild: pixabay.com – jackmac34

Dieser Beitrag wurde am 07.02.2025 erstellt.

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