Gemäß den Recherchen von abgeordnetenwatch.de sind gegen mindestens neun Abgeordnete des Deutschen Bundestages Gerichts-, Ermittlungs- oder Disziplinarverfahren anhängig. Dabei geht es um den Verdacht der Untreue oder Bestechlichkeit sowie um Verstöße gegen das Parteiengesetz. Sogar wurde ein Parlamentarier wegen Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe im fünfstelligen Bereich verurteilt.
Es war der 4. März 2021, als Beamte des Bundeskriminalamtes den Deutschen Bundestag durchsuchten, genauer: das Arbeitszimmer des CDU-Bundestagsabgeordneten Axel E. Fischer. Nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft in München besteht bei ihm der Anfangsverdacht der Bestechlichkeit im Zusammenhang mit dubiosen Verbindungen nach Aserbaidschan.
Schon über zwanzig Mal seit der letzten Legislaturperiode hat der Bundestag die Immunität von Abgeordneten aufgehoben, bei manchen sogar gleich zweimal. Das ist übrigens ein sprunghafter Anstieg gegenüber früheren Legislaturperioden.
Allerdings sind solche Verfahren nicht immer von strafrechtlicher Relevanz und das Vorliegen eines Anfangsverdachts bedeutet natürlich nicht gleich, dass es im weiteren Verlauf auf jeden Fall zu einer Verurteilung kommt, denn nicht selten werden Ermittlungen schon eingestellt, bevor überhaupt eine Anklage erhoben wird. Es gilt selbstverständlich stets erst einmal die Unschuldsvermutung.
Zur Erinnerung eine kurze Vorstellung einiger Verfahren
Gegen den CDU-Bundestagsabgeordneten Axel E. Fischer besteht wegen Geldzahlungen aus Aserbaidschan Korruptionsverdacht. Die Generalstaatsanwaltschaft München geht davon aus, dass Fischer und andere ehemalige und aktive Mitglieder des Bundestages in der Zeit von 2008 bis 2016 unter anderem Geld aus Aserbaidschan über baltische Konten von britischen Briefkastengesellschaften bekommen haben.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz, die am 21. März 2021 verstorben ist, und der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Eduard Lintner sollen bei Abstimmungen und Anträgen zu mehreren Resolutionen und im Zuge der Besetzung von Kommissionen und Funktionen im Europarat Einfluss im Sinne von bestimmten Delegierten von Aserbaidschan genommen haben.
Der Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein soll nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft München hohe Provisionszahlungen im Zusammenhang mit Corona-Atemschutzmasken erhalten haben. Nüßlein saß jahrelang für die CSU im Bundestag und war Unionsfraktionsvizevorsitzender.
Er soll 2020 einen bestimmten Maskenhersteller an Ministerien vermittelt haben und dafür ungefähr 660.000 Euro erhalten haben. Nach Medienberichten soll eine Firma in Liechtenstein fingierte Rechnungen bekommen haben, um die Vorgänge zu verschleiern.
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Der SPD-Bundestagsabgeordnete Marcus Held muss vor dem Landgericht Mainz wegen des Verdachts auf Betrug, Bestechlichkeit, Untreue und mehrfache Verstöße gegen das Parteiengesetz Rede und Antwort stehen. Er soll als Bürgermeister von Oppenheim im Rahmen von Grundstücksgeschäften Geld angenommen haben.
So sollen zwei Immobilienmakler von der Gemeinde überhöhte Maklercourtagen bekommen haben, obwohl dies so nicht vom Stadtrat beschlossen worden war. Ein Teil dieser Courtagen, immerhin 24.600 Euro, soll als „Gegenleistung“ an den SPD-Ortsverein geflossen sein, um damit Helds Bundestagswahlkampf zu finanzieren.
In einem Nachtrag vom 21.12.2021 wurde darüber informiert, dass Marcus Held schließlich durch das Landgericht Mainz wegen Bestechlichkeit und Untreue zu einer einjährigen Haftstrafe plus acht Monaten Bewährung verurteilt wurde.
Ebenfalls wegen Untreue und Verstoß gegen das Parteiengesetz ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Bleser ins Visier der Staatsanwaltschaft Koblenz geraten. Ihm wird vorgeworfen, dass er in der Zeit von 2005 bis 2015 als Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Cochem-Zell, aber auch in seiner Eigenschaft als Schatzmeister des CDU-Landesverbandes Rheinland-Pfalz mehrere Spenden von insgesamt 56.000 Euro angenommen habe, was nicht rechtmäßig gewesen sei, weil das Geld von einer Briefkastenfirma kam, die wohl dem früheren Geheimagenten Werner Mauss gehörte.
Bei der Staatsanwaltschaft Konstanz ist wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Parteiengesetz ein Ermittlungsverfahren gegen die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel eröffnet worden.
Dabei geht es um die Annahme gestückelter Strohmannspenden in Höhe von insgesamt circa 132.000 Euro. Die Spenden sollen ein paar Monate vor der Bundestagswahl 2017 geflossen sein, und zwar von einem Schweizer Pharmaunternehmen. „Wahlkampfspende Alice Weidel Social Media“ war da als Vermerk zu lesen.
Angekommen war das Geld auf dem Konto von Weidels Kreisverband Bodenseekreis. Nach Medienberichten steckte der milliardenschwere Immobilienunternehmer Henning Conle dahinter. Das beziehungsweise die Verfahren gegen Weidel wurden in diesem Zusammenhang aber im September 2021 eingestellt.
Gegen den AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz wurde ein Disziplinarverfahren durch den Dienstgerichtshof am Oberlandesgericht Stuttgart eröffnet. Der frühere Staatsanwalt soll zwischen 2015 und 2017 rassistische Aussagen im Internet verbreitet haben.
Sein Dienstherr war seinerzeit das baden-württembergische Justizministerium, das ihm vorwirft, damit gegen Vorschriften zum Beamtenstatus verstoßen und die Pflicht zur Verfassungstreue verletzt zu haben. Daraufhin entzog ihm das Richterdienstgericht am Landgericht Karlsruhe 2018 den Beamtenstatus.
Seitz selbst hat die Gerichtsentscheidung als „zeitgeistiges Urteil“ bezeichnet. Im Juni 2021 wurde Seitz gemäß dem Urteil in zweiter Instanz durch den Dienstgerichtshof für Richter beim Oberlandesgericht Stuttgart ganz und gar aus dem Dienst entfernt.
Gegen den Arzt und AfD-Bundestagsabgeordneten Robby Schlund wurde ein Verfahren eröffnet, weil dieser auf einer Anti-Corona-Demonstration in Berlin ein Transparent getragen hat.
Darauf war der Virologe Christian Drosten mit der Aufschrift „schuldig“ in Sträflingskleidung abgebildet. Die Landesärztekammer Thüringen leitete daraufhin ein berufliches Ermittlungsverfahren gegen Schlund, der in Gera praktizierte, ein.
Gegen den AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland wurde von der Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Ermittlungsverfahren in einer privaten Steuerangelegenheit geführt. Gegenstand der Untersuchung war die Frage, ob das Bestehen einer ehelichen Gemeinschaft zu Unrecht erklärt wurde, lediglich zur Ausnutzung steuerrechtlicher Vorteile.
Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens wurde das Ermittlungsverfahren gegen Gauland zunächst ausgesetzt.
Mit einer Verurteilung abgeschlossen wurde am 25.12.2018 ein Strafverfahren gegen den AfD-Fraktionsvize Sebastian Münzenmaier durch das Landgericht Mainz. Bei der Anklage handelte es sich um Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung, die schließlich mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen mit je 180 Euro geahndet wurde.
Dabei ging es um einen in 2012 geplanten Überfall durch Ultras des 1. FC Kaiserslautern gegen Mitglieder der Ultraszene des FSV Mainz 05.
Am 24. März 2021 wurde die Immunität des Linken-Abgeordneten Lorenz Gösta Beutin durch den Bundestag aufgehoben. Beutin beteuerte selbst, dass er als Parlamentarischer Beobachter im Februar 2020 die friedlichen Proteste gegen das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 begleitet habe.
Der Kraftwerksbetreiber Uniper hatte gegen jede Person, deren Identität damals festgestellt werden konnte, Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet, obwohl nach Aussage von Beutin, eine Zusage des Betreibers vorlag, dass er sich auf dem Gelände frei bewegen könne.
Hinweis auf den Verlauf dieser Recherchen
Betrachtet wurden alle Immunitätsfälle im Bundestag seit Oktober 2017, also seit dem Beginn der vorangegangenen Legislaturperiode. Bei immerhin 18 Bundestagsabgeordneten hatte der Bundestag die Aufhebung der Immunität beschlossen. Zu den meisten Vorgängen existieren öffentliche Quellen wie Medienberichte oder Pressemitteilungen. In einigen Fällen wurden die Staatsanwaltschaften oder die Gerichte durch abgeordnetenwatch.de explizit befragt.
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Dieser Beitrag wurde am 12.10.2022 erstellt.