Politik

Wettbewerbsfähigkeit über alles: EU-Kommission unter Druck von Industrieverbänden

Mit einer großen Lobbykampagne hat die Industrie keine Mühe gescheut, die „strategische Agenda“ der neu eingesetzten EU-Kommission für die nächsten fünf Jahren auf „Wettbewerbsfähigkeit“ einzuschwören. Dass dabei möglicherweise die Klimapolitik und weitere Aspekte des Gemeinwohls zu kurz kommen werden, stört die treibenden Protagonisten eher wenig.

Am 27. Juni 2024 haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU mit Blick auf die Arbeit der EU-Kommission der kommenden fünf Jahre auf eine „Strategische Agenda“ geeinigt. Zwar ist dieses „Theater“ nicht bindend, dennoch wurden damit ein paar wegweisende Pflöcke eingeschlagen.

Deutlich wurde dabei, dass der „Green Deal“, den die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen während ihrer ersten Amtszeit so emsig vorangetrieben hat, nun einem anderen Schwerpunkt den Vortritt lassen muss: der Wettbewerbsfähigkeit.

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Initiiert wurde dieser Paradigmenwechsel von den mächtigen europäischen Wirtschaftsverbänden, die in den Monaten vor der Europawahl mit einer großen Lobbykampagne für ein „Umdenken“ in der EU gesorgt haben. Unter mehr Wettbewerbsfähigkeit verstehen die großen Wirtschaftsverbände vor allem weniger gesetzliche Reglementierung der Unternehmen (Bürokratie-Abbau) und niedrigere Steuern.

Eine Agenda zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ganz im Sinne der Industrieverbände wird all das, was bislang in Sachen Schutz der Umwelt, der Verbraucher und der Beschäftigten erreicht worden ist, mittelfristig aushebeln.

Es hat sich ohnehin schon seit längerer Zeit das Narrativ durchgesetzt, dass allein die Befriedigung der Unternehmensinteressen ein Garant für das zunehmende Wohl der Gesellschaft sein kann. Der laute Ruf nach mehr Deregulierung geht klar auf Kosten der dringend notwendigen ökologischen und sozialen Errungenschaften.

Schauen wir nun etwas genauer hin, wer alles maßgebend hinter der aktuellen Lobbykampagne zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen steckt:

Der besonders einflussreiche Verband der europäischen Chemieindustrie „European Chemical Industry Council“ (Cefic) hat seine EU-Lobbyausgaben auf über zehn Millionen Euro pro Jahr aufgeplustert. Innerhalb des Zeitraums 2019 bis 2024 kam es zu 80 Treffen mit der EU-Kommission. Der Verband umfasst 650 Mitglieder, darunter große Konzerne wie BP, Bayer und BASF oder der „Deutsche Verband der Chemischen Industrie“ (VCI). Der Kopf von Cefic wird regelmäßig ausgewechselt, auffallend häufig thront dort der jeweilige CEO von BASF.

Im Februar 2024 trug Cefic auf dem Gelände der BASF in Antwerpen einen Chemiegipfel aus. Mit von der Partie waren der belgische Premierminister Alexander De Croo und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Verabschiedet wurde dort die „Antwerp Declaration for a European Industrial Deal“, die quasi als Gegenpol zum Green Deal eine schnelle, weitreichende Deregulierung fordert.

Der damit einhergehende Abbau von bestehenden Sozial- und Umweltvorschriften wird darin bewusst mit Innovation und Wettbewerbsfähigkeit verwechselt. Schnell einig war man sich auch darin, dass in Zukunft jegliche Reglementierung sehr kritisch zu hinterfragen ist.

Inzwischen haben über 120 Organisationen die EU in einem offenen Brief aufgefordert, von diesen Plänen wieder abzurücken.

Mit bis zu 4,5 Millionen Euro pro Jahr und gleich 216 Treffen mit der EU-Kommission im Zeitraum 2019 bis 2024 gehört „Business Europe“, der Lobbyverband der europäischen Industrie- und Arbeitgeberverbände, zu den Schwergewichten in Sachen Lobbyismus. Diesem Verband sind die EU-Klimaziele ein besonderer Dorn im Auge. Schon im November 2022 publizierte Business Europe die „Stockholm Declaration“ mit dem Ziel, Einfluss auf die schwedische Ratspräsidentschaft zu nehmen.

Eine zentrale Forderung war darin eine „regulatorische Atempause“, damit die Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wieder gestärkt werden könne. Eine solche regulatorische Atempause mahnte Business Europe in einem Brief an Ursula von der Leyen im März 2023 erneut an.

Im April 2024, kurz vor den Europawahlen, lancierte Business Europe die Lobbykampagne „Reboot Europe“, womit unverblümt ausgedrückt wurde, dass gerade die vielen Regulierungen im Umweltbereich die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen torpedieren. Was die letzte EU-Kommission ausgelöst habe, sei geradezu ein „Regulierungs-Tsunami“, argumentierte Business Europe.

Bei 92 Begegnungen mit der EU-Kommission während der letzten fünf Jahre und EU-Lobbyausgaben von bis zu vier Millionen Euro jährlich steht der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ (BDI) an dritter Stelle dieser illustren Reihe. Dieser industrielle Spitzenverband tat sich vor der Europawahl mit etlichen Pressemitteilungen hervor, die er dazu nutzte, vor den viel zu strengen Klimaschutzzielen, die die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft extrem belasten, eingehend zu warnen.

Im gleichen Atemzug wird auch das „EU-Lieferkettengesetz“ in Kritik erstickt. Unnötig zu erwähnen, dass der BDI selbstverständlich Mitglied bei Business Europe ist.

Geradezu bescheiden nehmen sich dazu die EU-Lobbyausgaben von bis zu 600.000 Euro pro Jahr von „Svenskt näringsliv“, dem schwedischen Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband, aus, dessen Vertreter sich im genannten Fünfjahreszeitraum 30-mal mit der EU-Kommission trafen. Im November 2023 hat Svenskt näringsliv die Initiative Europe Unlocked aufgebaut und finanziert diese weiterhin.

Organisiert wird Europe Unlocked, dem auch der deutsche Bund der Arbeitgeber (BDA) angehört, von Dentons Global Advisors. Das Ziel dieser Initiative, die über ein Jahresbudget von gut 400.000 Euro verfügt, besteht darin, die „Problematik“ (mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit) der relativ neuen Regelungen, die unter anderem im Kontext des Green Deal zustande kamen, immer mehr ins Bewusstsein zu schieben.

Lobbyausgaben in der gleichen Größenordnung wie Svenskt näringsliv leistet sich die „Computer and Communications Industry Association“ (CCIA), die sich allerdings erst dreimal mit der EU-Kommission traf. Es handelt sich hierbei um einen der einflussreichsten Lobbyverbände der Tech-Industrie innerhalb der EU. Dennoch läuft dessen Finanzierung im Wesentlichen über Amazon, Google und Meta.

Ende Mai 2024 hat die CCIA eine Studie veröffentlicht, die an der Universität EUI in Florenz erarbeitet worden ist, wobei man wissen sollte, dass die Finanzierung dieser Uni im Wesentlichen auf Big-Tech-Unternehmen gründet. All die neuen Regeln wie der Digital Services Act (DSA) oder der Digital Markets Act (DMA), die die Bewegungsfreiheit der Tech-Konzerne einschränken, werden in der Studie als „exzessiv und selbstzerstörerisch“ gebrandmarkt.

Der „European Round Table for Industry“ (ERT) gibt für seine Lobbytätigkeit, die im genannten Fünfjahreszeitraum zu 78 Treffen mit der EU-Kommission geführt hat, jährlich bis zu einer halben Million Euro aus. Der ERT setzt sich aus Vorständen und CEO von über 50 großen global agierenden europäischen Unternehmen zusammen.

Durch dessen langjährige Lobbyarbeit für eine „better regulation agenda“ werden die meisten EU-Gesetze zunächst auf ihre mittel- und langfristigen Auswirkungen auf die Wirtschaft hin abgeklopft. Dies passiert bereits bevor das EU-Parlament überhaupt Einsicht in die Gesetzentwürfe bekommt.

Eigentlich scheint ja ein solches Vorgehen sehr vernünftig zu sein, doch es sind nun faktisch fast ausschließlich wirtschaftspolitische Gesichtspunkte, die in der EU-Gesetzgebung berücksichtigt werden, beschäftigungs- und umweltpolitische Belange bleiben da eher außen vor.

Noch ein kurzer abschließender Ausblick auf das EU-Parlament

Die Klimaschutzziele weiterhin durchzusetzen und einer einseitigen Agenda für die Konzerne entgegenzuwirken, wird in den nächsten Jahren immer schwerer werden, denn der Anteil rechtspopulistischer Abgeordneter nimmt stetig zu und die Europäische Volkspartei EVP, welche jetzt die meisten Sitze im Parlament innehat, trottet dem Dogma der Wettbewerbsfähigkeit willenlos hinterher.

Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments müssen ihre Entscheidungen immer wieder unter massivem Zeitdruck treffen und diejenigen, die jetzt neu dabei sind, haben noch keinen blassen Schimmer von den geschickten Machenschaften der mächtigen Lobbyverbände.

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Beitragsbild: fotolia.com – AfricaStudio.jpg

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